Im Mittelpunkt der Orthomolekularen Medizin (altgr. orthós: richtig) steht die hoch dosierte Verwendung von Vitaminen und Mineralstoffen (siehe Patienteninformationsskript „Vitamine“, „Mineralstoffe und Spurenelemente in der Onkologie“) zur Vermeidung und Behandlung von Erkrankungen.
Krankheitsauslösend ist nach der Orthomolekularen Medizin ein biochemisches Ungleichgewicht dieser Stoffe und eine daraus folgende Stoffwechselstörungen und Immunschwächung.
Als „Vitalstoffe“ werden nahrungsergänzend Vitamine, Mineralstoffe, Spurenelemente, essenzielle Fettsäuren und Aminosäuren eingesetzt. Dabei wird häufig eine wesentlich höhere Zufuhr empfohlen, als ernährungsmedizinische Erkenntnisse rechtfertigen. Als Wegbereiter gilt Linus Pauling, Träger des Chemie- und Friedensnobelpreises. Orthomolekulare Medizin ist nach Pauling „die Erhaltung guter Gesundheit und Behandlung von Krankheiten durch die Veränderung der Konzentrationen von Substanzen im menschlichen Körper, die normalerweise im Körper vorhanden und für die Gesundheit erforderlich sind.“
Einen wissenschaftlichen Nachweis dieser Methode gibt es nicht. Die orthomolekulare Lehre vertritt die These, dass eine ausreichende Versorgung mit Vitalstoffen aufgrund der industriellen Lebensmittelherstellung (unnatürliche Züchtung, Transport, Lagerung) nicht mehr möglich ist. Dieser „chronische Mangel“ führt zu Erkrankungen. Daher ist eine Zufuhr über nahrungsergänzende Vitalstoffe notwendig.
Es werden Dosierungen verwendet, die um ein Vielfaches höher liegen als der physiologische Bedarf und deutlich über den Empfehlungen (oft 100-1000-fach) der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und Deutschen Gesellschaft zur Ernährung (DGE). Solche „Megavitamindosen“ (B-Vitamine) wurden in der orthomolekularen Psychiatrie zur Behandlung von Schizophrenie, Depression, Neurosen, Autismus und Hyperkinesen eingesetzt.
Die Wirksamkeit des Konzepts der orthomolekularen Medizin konnte bisher nicht mit naturwissenschaftlichen und medizinischen Studien belegt werden. Eine Heilung von chronischen Erkrankungen konnte durch die Supplementierung nicht erzielt werden.
Eine Überdosierung der eingesetzten Vitalstoffe kann zu Gesundheitsschäden führen. Etliche Studien belegen, dass eine längerfristige hoch dosierte Gabe von Vitaminen, wie sie in der orthomolekularen Medizin praktiziert wird, zu ernsthaften Gesundheitsschäden führen und die durchschnittliche Lebenserwartung verkürzen können. Besonders die fettlöslichen Vitamine (EDKA) können sich im Körper anreichern, aber auch die in Megadosen zugeführten wasserlöslichen Vitamine (C, B) sowie Mineralien und Spurenelemente können zur erheblichen Belastung des Stoffwechsels führen.
In Studien konnte gezeigt werden, dass regelmäßige Vitamin E-Zufuhr die Sterblichkeit erhöht. Vitamin A ist in hohen Dosen selbst krebsauslösend und führt in der Schwangerschaft eingenommen zu schweren Missbildungen des Neugeborenen.
Zu hohe Zufuhr von Vitamin C kann zu Durchfall und kolikartigen Beschwerden sowie Förderung von Nierensteinen und Osteoporose führen. Vitamin C verändert den Blutspiegel einiger Hormone (Östrogen, Schilddrüsenhormon, Insulin). Es begünstigt durch „Eisenoxidation“ (Radikalbildner) Kardiomyopathien (Herzmuskelentzündungen). Es konnte bislang auch kein Nachweis erbracht werden, dass eine Vitamin-C-Zufuhr vor Erkältungserkrankungen schützt. Hohe Vitamin C-Dosen können sich jedoch günstig bei Extrembelastungen (Marathonläufer) auswirken. Dabei ist es schwer, einen Plasmaspiegel zu ermitteln, da dieser nicht mit der zugeführten Dosierung korreliert. Zu groß sind die individuellen Unterschiede.
Vitamin B6 kann in hohen Dosen zu sensorischen Neuropathien führen. In schweren Fällen können sogar Lähmungserscheinungen der Hände und Füße auftreten.
Niacin B3 kann zu allergischen Reaktionen und Leberschäden führen, die Auslösung einer Gelbsucht ist. Eine Überdosierung von Vitamin B1 kann zu Kopfschmerzen und Schlaflosigkeit führen. Im Extremfall sind Lungenödem, Herzrhythmusstörungen und Magen-Darm-Blutungen möglich.
Aus diesen Gründen empfehlen wir in der Habichtswald Reha-Klinik nicht die Einnahme von „Megavitamindosen“. Eine bedarfsorientierte Substitution bei Tumorpatienten ist jedoch im Einzelfall erforderlich (siehe Patienteninformationsskript „Vitamine“, „Mineralstoffe und Spurenelemente in der Onkologie“). Völlig unbeachtet bleibt in den allgemeinen Empfehlungen der Nahrungsergänzung, ob individuelle Risiken durch schon bestehende Stoffwechselveränderungen im Rahmen einer Tumorerkrankung vorliegen (z.B. veränderte Leber- oder Nierenwerte) und/oder eine medikamentöse Tumorbehandlung durchgeführt wird und es zu Wechselwirkungen kommen kann (z.B. Abschwächung oder Verstärkung von Chemo-, Strahlen- oder Hormontherapie).
Mögliche Indikationen können sein:
Die Supplementierung ist dann zielgerichtet und überprüfbar. Regelmäßige Laborkontrollen werden entsprechend durchgeführt.
Häufig stellen wir ein Vitamin-D-Mangel fest. Dies hat viele Gründe und man weiß heute, dass ein Vitamin-D-Mangel mit vielen Erkrankungen, auch onkologischen Erkrankungen korreliert. In Studien konnte gezeigt werden, dass ein ausgewogener Vitamin-D-Haushalt (40-60ng/ml) sich positiv auf die primäre und sekundäre Krankheitsprävention auswirkt. Wir rechnen streng genommen das Vitamin D nicht mehr den Vitaminen, sondern den gen regulatorischen Hormonen zu. Der Bedarf kann nicht durch Nahrungsmittel gedeckt sein, eine gute Eigensynthese mithilfe des Sonnenlichts ist also unerlässlich.
In Deutschland haben nur wenige Vitaminpräparate eine Zulassung als Arzneimittel. Zahlreiche Präparate unterschiedlichster Zubereitung werden als Nahrungsergänzungsmittel verkauft. Die Rechtsprechung untersagt Werbung, die eine vermeintliche arzneiliche Wirkung suggeriert. Dennoch finden sich zahlreiche Hochglanzwerbebroschüren, die Vorteile durch Supplementierung von Nahrungsergänzungsstoffen zur Behandlung von sehr vielen, zumeist chronischen Erkrankungen versprechen oder auch zur allgemeinen Vorbeugung (Prävention) empfehlen. Auch werden oftmals umfangreiche teure Laboruntersuchungen angeboten. Unser Stoffwechsel ist keine statische Größe. Viele Prozesse unterliegen einer Rhythmik und die Erfassbarkeit und Interpretation von Laborparametern ist dadurch erschwert.
Nahrungsergänzungsmittel unterliegen nicht dem Arzneimittelgesetz, sondern dem Lebensmittel-, Bedarfsgegenstände- und Futtermittelgesetzbuch. Damit entfallen lästige Prüfverfahren und leider muss auch kein Wirksamkeitsbeweis erbracht werden.