„Kurz und intensiv in die Sonne ist für Vitamin D eine Wonne“ - Der Lebensalltag hat sich in den letzten Jahrzehnten immer mehr von draußen nach drinnen verlegt. Meist verbringen wir den Großteil unserer Zeit in geschlossenen Räumen und vergessen, dass unser Organismus eigentlich auf die Sonne angewiesen ist. Trifft Sonnenlicht auf unsere Haut schüttet der Körper nicht nur vermehrt Glückshormone aus, sondern beginnt auch die Produktion vom lebenswichtigen Vitamin D. Dieses Sonnenvitamin ist eigentlich ein Hormon und hat Einfluss auf zahlreiche Stoffwechselprozesse und Abläufe im Körper, nicht nur auf den Knochen- und Calciumhaushalt wie früher angenommen.
Mehr als die Hälfte der Erwachsenen in Deutschland haben allerdings eine mangelhafte Vitamin-D-Versorgung. Da wir heutzutage wissen, dass niedrige Vitamin-D-Spiegel mit zahlreichen Erkrankungen wie Knochenbrüchen, Depression, verschiedenen Krebs-Erkrankungen als auch den typischen „Volkskrankheiten“ wie Arteriosklerose und Bluthochdruck assoziiert sind, ist es um so wichtiger, auf den eigenen Vitamin-D-Haushalt zu achten.
In der Habichtswald-Klinik gehört die Bestimmung und Beratung zum Vitamin-D-Status bei allen Patienten des internistischen Therapiezentrums routinemäßig dazu und kann selbstverständlich auf Wunsch auch im Rahmen der Selbstzahlerangebote erfolgen.
Evolutionsbiologisch gehört Vitamin D wohl zu den ältesten Hormonen. Mittlerweile gibt es zahlreiche wissenschaftliche Beiträge, die den Einfluss von Vitamin D außerhalb des Knochenstoffwechsels belegen. Damit rückt Vitamin D immer mehr in den Fokus der aktuellen Forschung und Medizin und es zeigt sich, wie wichtig das Hormon für unseren Organismus ist. Hormon oder Vitamin, was ist es denn nun? Betrachtet man die Stoffwechselwege von Vitamin D, wird schnell deutlich, dass es sich gar nicht wirklich um ein Vitamin handelt, denn Vitamine können definitionsgemäß nicht vom Körper selbst hergestellt werden. Vitamin D hingegen kann vom Körper synthetisiert werden und entfaltet neben der Regulierung des Kalziumhaushaltes eine hormonartige Wirkung an spezifischen Rezeptoren vieler Körperzellen.
Das Sonnenlicht enthält einen kleinen Anteil UV-B Strahlung. Wirkt diese Strahlung auf unsere Haut ein, wird in speziellen Zellen (Keratinozyten) aus Provitamin D3 (Dehydrocholesterol) das Prävitamin D3 und anschließend Cholecalciferol (Vitamin D3) gebildet. Etwa 90 % des Vitamins wird mithilfe des Sonnenlichts hergestellt („Sonnenvitamin“). Über die Nahrung nehmen wir nur einen geringen Teil auf (ca. 10–20 %). Das pflanzliche Vitamin bezeichnet man als Ergocalciferol (Vitamin D2). Vor allem Lebertran und fetter Fisch wie Lachs und Hering, aber auch Eier, Pilze und Milchprodukte enthalten Vitamin D. Wir können unseren Bedarf allein über die Nahrung daher nicht decken. Möchte man z. B. 800 IE Vitamin D täglich aufnehmen, müsste man jeden Tag ca. 125 g Lachs oder 690 g Eier essen. In der Leber wird das Vitamin D3 und Vitamin D2 in die Speicherform Calcidiol/Ercalcidiol (25(OH)D3/D2, 25-Hydroxy-Vitamin D) verwandelt. In der Regel wird diese Speicherform im Labor gemessen. In der Niere wird die Speicherform unter Enzymeinwirkung in seine biologisch aktive Form Calcitriol/Ercalcitriol (1,25(OH)2D3/D2, 1,25-Dihydroxy-Vitamin D) umgewandelt. Diese Substanz wird in das Blut abgegeben und entfaltet eine endokrine Wirkung. Es stimuliert die Aufnahme von Calcium im Dünndarm und der Niere und reguliert den Knochen- und Calciumstoffwechsel.
Erst in jüngerer Zeit hat man erkannt, dass dieser Umwandlungsprozess zu der aktiven Form (Calcitriol) auch in vielen anderen Zellen und Organen stattfindet (autokrine Wirkung). Vitamin D hat dabei großen Einfluss auf gewebespezifische Zellfunktionen in den Zellen und wird nicht in das Blut abgegeben. Heutzutage weiß man, dass Vitamin D eine Rolle im Knochenstoffwechsel, der Infektabwehr, der Blutdruckregulation, der Zuckerverwertung, Autoimmunprozessen, der Funktion von Herz- und Skelettmuskel, der Entwicklung von Nervenzellen sowie bei der Zellproliferation (Zellwachstum) und Zelldifferenzierung spielt, welche gerade bei der Tumorentstehung von großer Bedeutung sind.
Für eine ausreichende Bildung von Vitamin D3 benötigen wir also das Sonnenlicht, genauer gesagt die UV-B Strahlung. Die Intensität des Sonnenlichts, wenn die Sonne hoch am Himmel steht, reicht in unseren Breitengraden für die Bildung von Vitamin D nur von März bis Oktober aus. Einige Studien (z. B. Nationale Verzehrstudie II, EsKiMo Studie, DONALD-Studie) konnten zeigen, dass viele Menschen eine Vitamin-D-Unterversorgung oder sogar Mangel aufzeigen.
Die existierenden Richtwerte für Vitamin D basieren auf dessen Einfluss im Knochenstoffwechsel, sodass es keine klaren Richtwerte für die vielfältigen Assoziationen zu anderen Erkrankungen und Stoffwechselprozessen im Körper gibt. Daher haben verschiedene wissenschaftliche Gremien und Institutionen Empfehlungen aus internationalen Studien abgeleitet. Dabei muss beachtet werden, dass Vitamin-D-Spiegel in unterschiedliche Einheiten angegeben werden: ng/ml und nmol/l. Der Spiegel wird anhand der Calcidiol-Werte im Blut bestimmt, da der aktive Metabolit Calcitriol eine zu kurze Halbwertszeit (4 Std.) hat. Die Kosten (ca. 20–30 Euro) für eine Laborbestimmung werden von den gesetzlichen Krankenkassen nicht übernommen. Je nach Fragestellung können auch weitere Laboruntersuchungen erforderlich werden (z. B. Parathormon, Kalzium, Phosphat, Calcitriol).
Richtwerte für 25-Hydroxy-Vitamin D
ng/ml | nmol/l | Definition
< 10 | < 25 | Schwerer Mangel, drohende osteomalazie
< 20 | < 50 | Mangel, mögl. Folgen für Knochengesundheit
< 30 | < 75 | Insuffizienz, für Knochen ausreichend
> 30 | > 75 | Suffizienz
≥ 120 | ≥ 300 | Toxischer Bereich
Aus einer bundesweiten Querschnittstudie von 2007 (DEVID) ging hervor, dass 65% der Patienten in Hausarztpraxen einen Vitamin-D-Mangel mit Werten < 20 ng/ml hatten. Werte ab 30 ng/ml gelten als ausreichend. Viele Experten und gerade die neu gewonnenen Erkenntnisse zu der vielfältigen Wirkweise des Vitamins halten diese Normwerte für zu niedrig. Werte zwischen 40 – 60 ng/ml werden daher aus Beobachtungsstudien als optimal angesehen. Ab einer Serumkonzentration < 30 ng/ml kann der Organismus beginnen, die mangelnde Vitamin-D-Wirkung auf den Kalziumhaushalt mit einer Erhöhung des Parathormons zu kompensieren (Hormon aus der Nebenschilddrüse).
Vitamin D gehört zu den fettlöslichen Vitaminen und wird daher im Körper gespeichert. Bei einer erhöhten Zufuhr (medikamentöse Überdosierung) kann es daher zur Intoxikationen kommen. Diese äußert sich in einem erhöhten Calciumspiegel, was zu Schwäche, Durchfall, Erbrechen, Kopfschmerzen und auf Dauer zu Kalziumablagerung in den Gefäßen und der Niere führen kann. Da eine Intoxikation sehr individuell ist, empfiehlt es sich die Vitamin-D- und Calciumspiegel 2–3 Monate nach Beginn einer Einnahme von Vitamin-D-Präparaten zu kontrollieren. Bei Bildung auf natürliche Weise durch das Sonnenlicht ist eine „Überdosierung“ nicht möglich, denn nach zu langer Sonneneinstrahlung ohne schnellen Abtransport wird das übrige Vitamin D inaktiviert.
Um einen Vitamin-D-Mangel zu vermeiden, lautet die Devise „kurz und intensiv in die Sonne“. Konkret lautet die Empfehlung der Deutschen Gesellschaft für Ernährung: zwischen März und Oktober je nach Hauttyp für 5–25 Min mit unbedeckten Gesicht, Händen und Teilen von Unterarmen und Beinen in die Mittagssonne (12–15 Uhr). Versuchen Sie doch z. B. mal, ihr Mittagessen bei schönem Wetter in der Sonne zu genießen.
Aufgrund unserer heutigen Lebensumstände verbringen wir immer mehr Zeit in geschlossenen Räumen, sodass eine ausreichende Vitamin-D-Synthese über die Haut oft nicht möglich ist. In solchen Fällen empfiehlt die Deutsche Gesellschaft für Ernährung die Einnahme von 800 I.E. Vitamin D pro Tag. Oftmals reicht das jedoch nicht aus, um in den Zielbereich von 40 bis 60 ng/ml zu kommen. Die Endokrine Society (US) empfiehlt daher bei Erwachsenen die Einnahme von 1.500 – 2.000 I.E./Tag, bei einem Mangel bis 4.000 I.E./Tag. Unter ärztlicher Kontrolle sind auch höhere Dosierungen bis 10.000 I.E./Tag möglich. Dabei sollten weiterhin die Spiegel kontrolliert werden, um die individuelle Dosis zu finden und eine Intoxikation zu vermeiden.
Außer bei speziellen Indikationen wie z. B. ausgeprägter Nierenschwäche wird Vitamin D in Form von Cholecalciferol gegeben. Eine tägliche Gabe ist physiologischer und sollte bevorzugt werden. Insgesamt sollte Vitamin D nicht zu hoch dosiert werden, denn auch die Speicherform Calcidiol kann an den VDR-Rezeptor binden, ohne jedoch eine Wirkung zu entfalten. Der Rezeptor ist damit für den wirksamen Metaboliten Calcitriol blockiert.
Der Markt für Vitamin-D-Präparate ist groß und es gibt unterschiedliche Formen: Tabletten, ölige Kapseln, Tropfen oder teils Spritzen für die Injektion von Depotpräparaten in den Muskel. Generell empfiehlt sich die Einnahme insb. öliger Präparate zum Essen, um die Resorption zu verbessern.
Für den Vitamin-D-Stoffwechsel benötigt der Körper bestimmte Cofaktoren. Bei der Einnahme von Vitamin D sollte man beispielsweise auf eine ausreichende Calciumzufuhr achten. Die empfohlenen 1.000 mg/Tag kann man meist durch Nahrungsmittel wie Milchprodukte, Brokkoli und calciumreiches Wasser decken. Mit ¼ l Milch und 2 Scheiben Emmentaler Käse hätte man beispielsweise den Tagesbedarf erreicht.
Ebenfalls sollte auf eine suffiziente Versorgung mit Magnesium geachtet werden. Der tägliche Bedarf wird hier zwischen 300 – 700 mg/Tag angegeben. Insbesondere bei hohen Vitamin-D-Dosen, fehlender Wirkung oder dem Auftreten von Unverträglichkeiten wie Schwindel und Kopfschmerzen sollte an einen sekundären Magnesiummangel gedacht werden.
Auch Vitamin K2 wird zunehmend als notwendiger Zusatz bei einer Vitamin-D-Substitution beschrieben. Es gibt die Hypothese, dass es durch hohe Vitamin-D-Dosen zu einem relativen Vitamin-K-Mangel kommt, sodass das aufgenommene Calcium nicht in den Knochen eingebaut werden kann und sich ablagert. Vitamin K ist der Überbegriff für verschiedene Formen. Vitamin K1 (Phyllochinon) ist vor allem in grünem Blattgemüse enthalten und spielt eine Rolle in der Gerinnungsaktivierung. Vitamin K2 (Menachinon, MK2-MK14) kommt in fermentierten Sojaprodukten wie Natto sowie Käse vor. Das Vitamin K2 trägt zur Aktivierung von Osteocalcin und dem Matrix-GLA-Protein von Osteoblasten bei, sodass das Calcium gebunden und in den Knochen eingebaut werden kann. Vitamin K2 und Vitamin D arbeiten daher zusammen und spielen beide eine große Rolle in der Knochenhomöostase. Wie viel K2 der Organismus pro Tag benötigt ist noch völlig unklar, der geschätzte Tagesbedarf liegt hier ca. bei 120200 µg. MK4 als eine Form von Vitamin K2 wird beispielsweise von Bakterien im Dickdarm produziert. Bei schlechter Darmgesundheit kann man einen Versuch mit 50 µg K2 pro 1.000 I.E. Vitamin D machen. Die Studienlage hierzu ist noch nicht ausreichend, allerdings gibt es erste Hinweise, dass Vitamin K2 einen Einfluss auf die Entwicklung einer Osteoporose und Gefäßverkalkungen hat. Besondere Vorsicht gilt nur bei der Einnahme von Blutgerinnungshemmern der sogenannten Vitamin-K-Antagonisten wie Marcumar und Warfarin, da diese in ihrer Wirkung durch eine gleichzeitige Vitamin-K-Einnahme abgeschwächt werden können. Hier sollte der INR bei Beginn einer Substitution mit Vitamin K2 engmaschig kontrolliert werden.
Der Einfluss von Vitamin D auf unseren Organismus ist komplex. Rachitis oder Osteomalazie als typische Vitamin-D-Mangelerkrankungen sind schon lange bekannt. So wird eine sogenannte „Rachitisprophylaxe“ mit Vitamin D für Säuglinge schon seit vielen Jahren empfohlen. Besonders neue wissenschaftliche Erkenntnisse zur autokrinen Wirkung des Vitamin D konnten Zusammenhänge bei der Entstehung vieler chronischer Erkrankungen erklären. Vitamin D besitzt eine „Verwandtschaft“ zu den Steroidhormonen (Testosteron, Cortison, Östrogen, Progesteron) unseres Körpers. In seiner molekularen Struktur weist es zu diesen Hormonen eine große Ähnlichkeit auf. Wie schon für viele Hormone bekannt, besitzen unsere Zellen mit ihrer Erbsubstanz (DNA) Bindungsstellen (Rezeptoren) für Vitamin D (Vitamin D-Rezeptor = VDR). Dieser VDR vermittelt die Steuerung der DNA und reguliert die Aktivität unserer Gene. Weit über 1000 Gene verfügen über VDR-Rezeptoren. An den VDR bindet das enzymatisch umgewandelte Calcitriol. Die Aktivität des Enzyms (1α-Hydroxylase), welches Calcidiol in Calcitriol umwandelt, ist u. a. abhängig von körperlicher Bewegung. Es hat nur eine sehr kurze Halbwertszeit und muss daher immer wieder neu gebildet werden. Hierin liegt möglicherweise auch eine Erklärung für den nachgewiesenen positiven Effekt von konditions- und muskelkräftigendem Training.
Eine Genregulation über Einwirkung von Calcitriol auf den VDR-Rezeptor ist für viele Gewebe nachgewiesen:
Ein Zusammenhang zwischen Vitamin-D-Mangel und verschiedenen Erkrankungen wird daher diskutiert. Ob dieser jedoch auch kausal, also tatsächlich ursächlich für die Entstehung solcher Erkrankungen ist, ist aktuell noch unklar. Viele Beobachtungsstudien zeigen einen Zusammenhang zwischen dem Vitamin-D-Spiegel und einigen Erkrankungen, jedoch fehlt größtenteils der Nachweis eines Benefits durch die Vitamin-D-Gabe. Insgesamt lässt sich folgendes zusammenfassen:
Große Kongresse (Vitamin D update) an der Charité Berlin oder der Universität Frankfurt am Main fassten die neusten wissenschaftlichen Erkenntnisse zusammen. Es wurde ein Konsensus 6-Punkte-Papier verfasst. U. a. wurde festgestellt, dass „… Veränderungen des Lebensstils auch infolge des technischen Fortschritts zu einer schlechteren Vitamin-D-Versorgung führen. Viele wissenschaftliche Untersuchungen der vergangenen Jahre haben zeigen können, dass ein Vitamin-D-Mangel fast alle chronischen Erkrankungen (z. B. Diabetes, Krebs, Bluthochdruck, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Nervenerkrankungen, Auto-Immunerkrankungen, Infektionserkrankungen, Allergien) fördert. Es erscheint daher erforderlich, die Empfehlungen zur natürlichen Sonnen-Exposition zu überarbeiten. Von Frühling bis Herbst sollte man sich an mehr als 3 Tagen in der Woche für max. 20 Minuten der Sonne ohne Sonnenschutz aussetzen. Natürlich ist dabei der Hauttyp zu beachten, Sonnenbrand ist in jedem Fall zu vermeiden! Ebenfalls sind Empfehlungen zur medikamentösen Substitution zu überarbeiten. Eine tägliche Verabreichung von 1000 bis 2000 I.E. ist insbesondere in den Wintermonaten wünschenswert.“