Viele Prozesse in unserem Körper laufen nach Rhythmen ab. Unsere Stoffwechselprozesse unterliegen einem bestimmten Rhythmus, der dem Schlaf-Wach-Rhythmus angepasst ist. Zyklische Prozesse begleiten uns also Tag und Nacht. Damit diese Rhythmen stabil bleiben, findet immer wieder eine Synchronisation und Feinabstimmung statt. Der Schlaf nimmt dabei eine wichtige Funktion ein. Die „Taktung“ dieser Rhythmen ist genetisch, also erblich bedingt und variiert je nach Spezies (Mensch= 90 Minuten, Katze= 30 Minuten, Elefant= 120 Minuten).
Wir unterscheiden Tagesrhythmen (circadianer Rhythmus), Wochenrhythmen, Monats- oder Jahresrhythmen. Unsere Körperfunktionen und Zellaktivitäten werden von diesen bestimmt (z.B. Menstruationszyklus der Frau).
Die Körperfunktionen und Stoffwechselprozesse unterliegen also zeitlichen Schwankungen. Beispiele dafür sind:
Am Beispiel der Produktion des Hormons Cortison kann man dies gut nachvollziehen. Der Höhepunkt seiner Konzentration liegt in den frühen Morgenstunden. Das Immunsystem wechselt von Phasen hoher Aktivität zu Phasen niedriger Aktivität. Blutbildkontrollen zu verschieden Tageszeiten belegen dies deutlich. Man kann beobachten, dass manche Erkrankungen zu bestimmten Tageszeiten gehäuft auftreten (z.B. Herzinfarkte, Asthmaanfälle).
Die Chrono-Pharmakologie beschäftigt sich daher mit der Frage, ob eine Medikamentengabe und deren Wirksamkeit durch solche Rhythmen beeinflusst werden. Dies hätte dann Einfluss auf den Verabreichungszeitpunkt oder –zeitraum von Medikamenten. Unterschiede in der Dosierung könnten sich ergeben.
Bio-Rhythmen haben auch einen Einfluss auf diagnostische Maßnahmen. So ist bekannt, dass z.B. das Erkennen einer Brustkrebserkrankung in der Mammographie oder Kernspintomographie abhängig von der Zyklusphase der Frau sein kann.
Seit einigen Jahren gibt es Hinweise, dass die Verabreichung einer Chemotherapie, angepasst an den Tagesrhythmus, Vorteile erbringt (chronomodulierte Therapie).
Die meisten Chemotherapien wirken auf die Zellteilung. Je nach Substanz ergeben sich unterschiedliche Angriffspunkte auf den Zellzyklus. Im Verlauf unseres Tagesrhythmus befinden sich die unterschiedlichen Körpergewebe jeweils in einem aktiven oder ruhenden Zustand. Da eine Chemotherapie leider nicht nur selektiv sich teilende Tumorzellen zerstört, wird vor allem das Immunsystem stark mitbelastet. Durch den hohen Zellumsatz unserer Blutzellen reagiert das Knochenmark als Produktionsstätte von Abwehrzellen, roten Blutkörperchen und Blutplättchen besonders empfindlich. Besonders viele Zellen werden im Knochenmark am frühen Nachmittag gebildet, während am wenigsten Zellen nachts zwischen 0.00 und 4.00 Uhr produziert werden. Damit besteht also am frühen Nachmittag die höchste Empfindlichkeit für eine schädigende Einwirkung. Da sich Tumorzellen (insbesondere rasch wachsende) einer Synchronisation entziehen, eigene unabhängige Rhythmen entwickeln, kann eine geschickte Auswahl des Zeitpunktes der Chemotherapie-Gabe Nebenwirkungen vermindern. Dadurch ließen sich evtl. höhere Chemotherapiedosen verabreichen und so die die tumorschädigende Wirkung erhöhen, ohne dass es zu mehr Nebenwirkungen kommt. Im Tierexperiment konnte nachgewiesen werden, dass bei gleicher Dosierung, die Schädigung gesunder Zellen durch Chemotherapeutika in Abhängigkeit der Gabe von einem tageszeitlichen Rhythmus um 50 % variiert.
Leider gibt es nur sehr wenige Untersuchungen, die diesen chronobiologischen Effekten beim Menschen nachgehen. Die Praktikabilität und der klinische Alltag sind hier einschränkend. Auch sind Chemotherapien in der Regel Kombinationsbehandlungen, das heißt, es werden verschiedene Medikamente zusammen eingesetzt, deren jeweiliger Wirkzeitpunkt ganz unterschiedlich ist. Auch die Wirkdauer der Medikamente ist sehr unterschiedlich und reicht von Minuten bis Tage.
Die meisten Studien beziehen sich auf die Behandlung von Dickdarm- und Enddarmkrebs. Es konnte sich zeigen, dass die Verabreichung der Substanz 5-FU einen optimalen Effekt hat, wenn sie als 24 Std. oder 48 Std. Dauerinfusion verabreicht wird. Dauer-Infusionspumpen geben eine kontinuierliche Menge ab. Bei chronomodulierter Gabe von FOLFOX konnte gezeigt werden, dass sich durch diese Applikationsart nicht nur die Wirkung verbesserte, sondern auch Nebenwirkungen wie Schleimhaut- oder Nervenschädigung deutlich vermindert waren. Sie traten bei konventioneller Gabe bei 70 % der Patienten auf, bei der chronomodulierten Gabe nur bei 10 %. Mittlerweile liegen auch Untersuchungen für FOLFIRI, sowie Carboplatin und Taxol, Vinorelbin und liposomales Anthrazyklin vor.
Weitere Ergebnisse sind abzuwarten, um die Vorteile einer chronomodulierten Therapie zu ermitteln. Entsprechend programmierbare Spezialpumpen für Dauerinfusionen sind sehr teuer. Wenn es möglich ist, berücksichtigen wir beim Einsatz von Chemotherapie in unserer Klinik die Aspekte der circadianen Rhythmen.