Psychotherapie bei körperlichen Erkrankungen

Psychotherapie bei körperlichen Erkrankungen

Möglichkeiten der Psychotherapie bei körperlichen Erkrankungen

Viele Patienten mit körperlichen Erkrankungen fragen, wozu eine Psychotherapie von Nutzen sein kann, wenn doch der Körper krank ist. Unterschiedliche Blickwinkel stehen im Vordergrund: die Krankheitsbewältigung und aktuelle Stabilisierung einerseits sowie der Blick auf das, was in der Alltagsrealität an gesundheitsbelastenden Faktoren zu ändern ist andererseits.

In Krisenzeiten und Krankheitsphasen – wie beispielsweise nach einer Krebsdiagnose – sind die Betroffenen oft existentiell erschüttert. Sie sehen sich vor die große Herausforderung gestellt, den Schock der Diagnose zu verarbeiten und mit der Erkrankung umgehen zu lernen. Auch sind bisweilen die Beziehungen belastet und die Kommunikation verändert sich. Bei der Krankheitsbewältigung kann eine Psychotherapie oder eine psychoonkologische Begleitung sehr hilfreich und unterstützend sein. Bei beiden geht es in erster Linie um krankheitsbedingte Problematiken und Themen wie Endlichkeit, Umgang mit der Erkrankung im sozialen Umfeld oder die Beziehung zum veränderten Körper; im Vordergrund steht die Stabilisierung.

Es können auch Probleme angesprochen werden, die grundlegende Themen berühren. Zum Beispiel geht es um allgemeine Lebenshaltungen und Einstellungen oder weiter zurückliegende Erlebnisfaktoren, die im Angesicht der Erkrankung neu in den Fokus kommen. Je nach Bedarf werden Themen der Selbstfürsorge, des Selbstwertgefühls und erlernter störender Konzepte behandelt. In diesem Kontext geht es weniger um die Aufarbeitung der Vergangenheit, vielmehr liegt der Fokus auf dem Hier und Jetzt („Was hilft jetzt?“). Dazu braucht es manchmal allerdings auch einen Blick auf die Wurzeln und Ursachen von aktuellen Schwierigkeiten.

Was ist Psychotherapie?

Viele Menschen assoziieren mit Psychotherapie noch immer Sigmund Freud mit seiner roten Couch. Zwar hat Sigmund Freud als Begründer der Psychoanalyse den Grundstein für die Psychotherapie gelegt; seine ursprüngliche Theorie wurde jedoch bis heute immer weiter entwickelt. Heute ist die Psychoanalyse nur ein Verfahren neben anderen: der tiefenpsychologisch fundierten Therapie, der Verhaltenstherapie und der Gesprächstherapie sowie systemischen und erlebnisorientierten Therapien (z.B. Körpertherapie, Musiktherapie, Kunsttherapie und Tanztherapie), dazu kommen neue Entwicklungen aus den Erkenntnissen von Medizin und Hirnforschung wie der Traumatherapie.

Die moderne Psychotherapie ist an Bedürfnissen der Patienten orientiert und der Therapeut hat eine begleitende Rolle, sodass die Kompetenz der Patientinnen und Patienten wahrgenommen, unterstützt und gefördert wird. Unsere Therapie ist an Ressourcen orientiert. Das bedeutet, dass der Fokus nicht auf die Probleme, sondern auf die persönlichen Fähigkeiten und Kraftquellen des Menschen gerichtet wird. Die therapeutische Arbeit ist lösungsorientiert und erweitert die Befähigung zur Alltagsbewältigung.

Das ganzheitliche Konzept ist von der Wissenschaft bestätigt worden: Körper, Seele und Geist sind nicht zu trennen und stehen in enger Wechselwirkung. Sie sind über psychische, neuronale (das Nervensystem betreffende) und endokrinologische (innere Vorgänge, z. B. Hormone betreffende) Prozesse miteinander verbunden. Innere Haltung und Stimmung, Denkmuster und Gefühle wirken sich auf den gesamten Organismus aus; und umgekehrt wirkt der Körper auf diese zurück („Embodiment“ = Verkörperung von Erfahrungen).

Zusammenhang von körperlichen und seelischen Prozessen

Aufgrund der Ergebnisse der Gehirnforschung wissen wir über die Wirkung der subjektiven Erfahrungen auf die neuronalen Prozesse. Alles Erleben wird über synaptische Verbindungen in neuronalen Netzwerken im Gehirn abgebildet und wirkt somit auf das gesamte Nervensystem. Das bedeutet, dass alle Erlebnisse Spuren hinterlassen und häufig erzeugte Spuren sich verfestigen; so wie Wege über eine Wiese, die bei wiederkehrender Benutzung immer breiter werden. Verknüpfte „Wege“ bilden neuronale Netzwerke. Jeder kennt Erinnerungen, die plötzlich anlässlich einer Wahrnehmung auftauchen, z.B. ein Geschmack oder Duft, oder eine Musik, erinnern an einen Urlaub – und alles, was vorher „vergessen“ war, ist wieder da: ein typisches neuronales Netz.

Wahrnehmungen lösen gelegentlich im Unterbewusstsein Erinnerungen aus, die mit bestimmten Empfindungen verknüpft sind und z.B. Ängste oder andere Gefühle hervorrufen. Solche sogenannten „Trigger“ können besonders in Krisensituationen auftauchen. Wenn nun das Erleben den Körper beeinflusst, stellt sich die Frage, wie kann ich mein Erleben beeinflussen, sodass es auf den Körper unterstützend wirkt? Gerade im Krankheitsfall braucht es Fähigkeiten, die Erlebnisse in belebender und Zuversicht stärkender Weise zu verarbeiten. Das ist das zentrale Anliegen in der Psychotherapie mit kranken Menschen.

Persönlichkeitsanteile

Jeder Mensch kennt innere Konflikte. Diese rufen zwiespältige, d.h. ambivalente Gefühle hervor, die auf unterschiedliche Persönlichkeitsanteile zurückzuführen sind. Manche unserer Persönlichkeitsanteile gefallen uns nicht, weil sie aus irgendeinem, uns oft nicht bewussten Gründe negativ bewertet wurden, wenn z.B. die Lebhaftigkeit des Kindes den gestressten Eltern oder Lehrern auf die Nerven ging. Dann ist dieser innere Anteil ungeliebt, wird abgewertet und steht nicht stärkend zur Verfügung. Vielmehr führt es zu inneren Konflikten, die sehr belastend sein können. Dennoch sind auch diese Persönlichkeitsanteile grundsätzlich Ressourcen. Persönlichkeitsanteile werden u.a. auch durch Rollen (z.B. die „große Schwester“) geprägt, die wir verinnerlicht haben, oder sind individuelle Charakterzüge (z.B. der „ruhige Typ“).

Integration bedeutet Ressourcen zu stärken

Ziel der Psychotherapie ist, die inneren Konflikte zu entschärfen und die vorher abgelehnten Anteile zu integrieren, damit wir unser ganzes Potenzial leben können. Dieses Potenzial wird immer gebraucht, besonders jedoch in Krisensituationen wie Erkrankungen. Die Potenziale oder Ressourcen können mit psychotherapeutischen Methoden freigelegt und gestärkt werden. Dazu gehört das Erlernen von Techniken der Achtsamkeitsschulung, Übungen aus der Kinesiologie oder verschiedene Wahrnehmungsübungen. Beispielsweise können unangebrachte oder nicht mehr sinnvolle Verhaltensmuster, Glaubenssätze und Gewohnheiten erkannt und verändert werden. Die Verbesserung von Selbstbewusstsein, Kommunikation und Konfliktfähigkeit und das Fördern von Selbstfürsorge und Psychohygiene gehören ebenfalls dazu. Je mehr Kraftquellen und stärkende Gefühle zur Verfügung stehen, umso mehr Stabilität ist möglich.