Die Mistelpflanze wächst als Halbschmarotzer auf verschiedenen Wirtsbäumen. In unseren Breitengraden ist eine Mistelpflanze besonders in den Wintermonaten in den unbelaubten Kronen von Laubbäumen wie Eiche, Apfelbaum, Ulme, Pappel und anderen gut an ihrem kugelförmigen Wachstum zu erkennen. Dies machte sie schon früh für den Menschen interessant und ihr Gebrauch als Heilpflanze ist schon bei den Kelten bekannt.
Auf Anregung von Frau Marie Ritter, die zu Anfang des letzten Jahrhunderts aus Apfelmistel ein Naturheilmittel in Breslau herstellte, beschäftigte sich Rudolf Steiner (1861-1925) Begründer der Anthroposophie mit dem Heil-Potenzial der Mistel – zu einer Zeit, wo es außer Operationen nur wenig Therapiemöglichkeiten bei Krebserkrankungen gab. Steiner beschrieb die „Eigensinnigkeit“ der Mistel, die im Winterhalbjahr blüht und im Winter ihre weißlichen Beerenfrüchte ausbildet, ebenso das Wuchern und Wachsen auf lebendigem Untergrund als Ähnlichkeit zum Tumorwachstum. In Zusammenarbeit mit ihm entwickelte die Frauenärztin Ita Wegman das erste Injektionspräparat und setzte es in der Tumorbehandlung ein. Was als Erfahrungsmedizin und aufgrund phänomenologischer Betrachtung begann, wurde ab den 1930er Jahren zunehmend auch wissenschaftlich erforscht.
Als onkologisch relevante Inhaltsstoffe fanden sich in Mistelextrakten Mistellektine, Viscotoxine und andere niedermolekulare Proteine, Mehrfach-Zucker und Flavonoide. Der jeweilige Gehalt an diesen Inhaltsstoffen hängt von den Wirtsbäumen, den unterschiedlichen Jahreszeiten sowie den verwendeten Pflanzenteilen (Blüten, Beeren, Blätter) ab.
Da die Inhaltsstoffe der Mistel durch die Magensäure verändert und zu schnell in der Leber abgebaut würden, müssen die Mistelpräparate – wie z.B. Insulin in der Diabetestherapie – gespritzt werden, in der Regel subcutan (d.h. unter die Haut). Selten wird eine Mistelgabe intravenös, in Körperhöhlen oder über einen Katheter in die Tumor ernährende Gefäße gegeben.
Eine Wirkung der Mistel ist die im Reagenzglas und in Tierversuchen - jedoch nur bei hoher Dosierung - nachgewiesene Hemmung des Tumorwachstums. Bei der Anwendung beim Menschen scheint eher die Aktivierung körpereigener Immunzellen sowie die Ausschüttung sogenannter Endorphine („Glückshormone“) eine Rolle zu spielen. Die positive Wirkung einer Immunstimulation kommt dabei am ehesten zum Tragen, wenn nachgewiesenermaßen eine Immunschwäche besteht.
Obwohl die Mistel fast ein Jahrhundert in der Behandlung krebskranker Menschen angewendet wurde, gibt es nur wenige, von der Schulmedizin anerkannte Studien (prospektiv randomisierte Studie mit ausreichenden Patientenzahlen) – wie beispielsweise zu Brustkrebs, Lungenkrebs, Darmkrebs, Eierstockkrebs und zum Magenkarzinom. Die Qualität der Studien variiert sehr, jedoch ändert sich das Gesamtergebnis nicht wesentlich, wenn nur die Studien mit guter Qualität berücksichtigt werden: am besten scheint die Evidenz für die Verminderung der Nebenwirkung konventioneller Therapien und für die Verbesserung der Lebensqualität zu sein. Möglicherweise kommt es auch zu einer Verminderung der Rezidivrate sowie zur Verlängerung der Überlebenszeit, jedoch stehen die diesbezüglichen Studien nicht außerhalb der Kritik.
Die Sicherheit der Misteltherapie bei Tumorpatienten ist vielfach untersucht worden. Bei der subcutanen Gabe, meist in sehr niedriger Dosis begonnen und nach Verträglichkeit gesteigert, gibt es harmlose örtliche Reaktionen an der Einstichstelle in Form einer Rötung und Schwellung, manchmal mit Juckreiz oder Schmerz verbunden. Es kann vorübergehend zu grippeähnlichen Beschwerden mit leichter Erhöhung der Körpertemperatur kommen. Nur sehr selten gibt es allergische Reaktionen mit Juckreiz, Nesselsucht bis hin zu Luftnot und Kreislaufschock.
Eine Wechselwirkung mit einer Chemotherapie oder Bestrahlung wurde bisher nicht dokumentiert. So kann eine Misteltherapie wegen der besseren Verträglichkeit einer Chemotherapie und Bestrahlung sowie der besseren Lebensqualität parallel durchgeführt werden, allenfalls könnte eine verstärkte Lokalreaktion Anlass zur Dosisreduktion oder vorübergehenden Pause geben.
Wegen der immunstimulierenden Wirkung ist bei Menschen mit allergischer Erkrankung oder Autoimmunerkrankungen besondere Vorsicht geboten, wir empfehlen in diesen Fällen eher Abstand von einer Misteltherapie zu nehmen. Da es in Einzelfallberichten Hinweise auf vermehrtes Tumorwachstum bei Melanompatienten, Nierenzellkarzinompatienten sowie Patienten mit Lymphomen gab, üben wir bei diesen Erkrankungen sowie bei Leukämien ebenfalls Zurückhaltung bei der Misteltherapie.
Auf dem deutschen Markt werden von den Firmen Abnoba, Weleda, Helixor und Wala sowohl anthroposophische Zubereitungen (getrennt nach Wirtsbaumart für unterschiedliche Indikationen oder Tumorarten) als auch Zubereitungen aus Pappelmistel mit normierten Lektingehalt als Phytotherapie oder Pflanzenheilkunde angeboten. Bei den anthroposophischen Zubereitungen werden im Sinne einer Reiztherapie Serienpackungen eingesetzt, die ansteigende Konzentration der Mistelauszugstoffe enthalten. So kann die wirksamste Dosis ermittelt werden und diese weiterhin 2 bis 3 Mal pro Woche subcutan verabreicht werden. Eine rhythmische Therapie mit zwischenzeitlichen Therapiepausen ist ebenfalls verbreitet, hier besteht der theoretische Vorteil, dass sich nicht über einen Dauerreiz ein Gewöhnungseffekt einstellt.
Die Kostenübernahme einer Misteltherapie durch gesetzliche Krankenkassen ist grundsätzlich möglich, diese sind aber durch ein Urteil das Bundessozialgericht von 2011 nicht mehr dazu verpflichtet – mit Ausnahme der Anwendung phytotherapeutischer Präparate (wie Lektinol® oder Cefalektin®) in der Palliativsituation, wo nicht die Heilung der Erkrankung, sondern die Symptomlinderung und eine verbesserte Lebensqualität bei einer Tumorkrankheit Ziel der Therapie ist. Hier macht man sich neben der Immunmodulation die Wirkung der durch die Mistel hervorgerufene Endorphinausschüttung zunutze.