Krebs hat keiner allein. Die Diagnose Krebs ist oft ein Schock. Die Nachricht, die Flut an Informationen und neue Aufgaben überfordern Patienten und Angehörige. Nahe Menschen erleben sich wie der Patient in einem Gefühls-Tsunami von Angst, Sorge, Trauer, Wut und Hilflosigkeit.
Alltag, Planungen und Lebensentwürfe verändern sich völlig und das Nahfeld verdrängt häufig die kommenden Probleme. Fokus liegt dabei auf dem Krebspatienten, der eingebunden ist in neue Termine und Abläufe. Die „Anderen“ können sich daher manchmal unbemerkt verschließen, sich überflüssig fühlen, Schutzmechanismen aktivieren, eine Fassade entwickeln oder selbst krank reagieren. So können aus „normalen“ wie Sorgen, Angst und/oder Traurigkeit bei hoher Belastung psychosoziale Störungen, eine Angst-Symptomatik, Depressionen, familiäre und spirituelle Krisen entstehen. 1/3 aller Patienten leiden an psychischen Auffälligkeiten und brauchen Unterstützung.
Am häufigsten sind:
Psychischer Distress gilt daher als 6. Vitalzeichen: Der Leidensdruck hat hohe Relevanz, z.B. auf die Konstruktivität der Therapie (Shimizu, 2013) und ist ähnlich wichtig zu betrachten wie Herzrate, Atmung, Blutdruck, Temperatur oder Schmerz (Bultz und Carlson, 2006). Daher ist die Psychoonkologische Begleitung integraler Bestandteil einer guten Therapie. Die S3-Leitlinien der Behandlung, eine von Experten erarbeitet Richtschnur, ist sie frühzeitig und nach Bedarf mitzudenken und anzubieten. Denn Krebspatienten und ihre Familien werden über lange Zeit mit hohen psychosozialen Belastungen konfrontiert. Im längerfristigen Verlauf kann es zu psychischen und sozialen Belastungen kommen (auch noch nach mehr als 5 Jahren). Etwa 30 % brauchen psychosoziale Unterstützung (Begleitung und/oder Therapie), weil die Einschränkungen in der Alltagsbewältigung und beim Thema Lebensqualität Auswirkungen auf alle Lebensbereiche hat.
Zusätzlich verunsichert viele die Frage nach dem „Warum“. Dann kann es zu zusätzlichen ungünstigen seelischen Verarbeitungsprozessen kommen, z.B. in Form einer Frage nach Schuld. Dies wird etwa durch folgende Aussagen begünstigt, die wir „Red Flags“ nennen, vielleicht kennen Sie Sätze wie:
Es gibt keine Evidenz für direkte Abhängigkeit von Entstehung, Verlauf und psychischen Faktoren. Auch Stress ist ein Mythos (Goerling, 2014). Die sogenannte Krebspersönlichkeit und alle Formen der Psychologisierung sind haltlos (Schwarz 2002; 2004). Im Gegenteil: Solche Glaubenssätze schaden durch Erzeugen von Schuldgefühlen oder Progredienzangst.
Die (neue) Situation lässt in der Herkunftsfamilie alte Muster und Konflikte wieder aufbrechen oder verstärkt sie. Wirksame Tabus und Familiengeheimnisse haben dann Hochkonjunktur, vor allem, wenn es andere erkrankte Familienmitglieder gab und gibt.
Im aktuellen System werden Kinder als „Symptomträger“ auffällig. Dabei können sie sich entweder vollkommen angepasst zeigen oder durch unangemessenes oder riskantes Verhalten sehr auffallen. Beides ist dysfunktional. Auch der Rückzug von Familienmitgliedern ist zu beobachten. So werden neue, tragfähige Strukturen und Regeln erforderlich, die miteinander ausgehandelt und dann umgesetzt werden könnten. Neue Anforderungen können die Organisation und Gestaltung des Alltags, aber auch die Notwendigkeit, neue Fertigkeiten zu erlernen und den Bedarf, emotionale Unterstützung leisten zu müssen. Zu den psychischen Anpassungsleistungen gehört z.B., die Veränderungen durch die Erkrankung wahrzunehmen, zu akzeptieren und darauf geeignet interagieren und umgehen zu können. Belastende Emotionen wie das Gefühl von Kontrollverlust, das Gefühl der Unzulänglichkeit und Hilflosigkeit, von Wut oder Schuldgefühlen sowie depressive und regressive Antworten sind ständige Begleiter (Wilz & Meichsner, 2015).
Beziehungen stehen auf dem Prüfstand: Kommunikation ist alles – jetzt erst recht. Denn die Höhen und Tiefen belasten in der Situation beide Seiten. Dann sollten Bedürfnisse und Wünsche geäußert werden. Zu denken, man wisse, was der andere denkt, programmiert häufig Missverständnisse vor. Auch in der Sexualität spielt die Diagnose oft als „unsichtbare Dritte“ eine nicht zu unterschätzende Rolle. Da-Sein und Selbstfürsorge, An-Vertrauen und Miteinander-Aushalten, Zumuten und Mut zusprechen können Brücken zueinander bauen.
Neben der Partnerschaft gehören viele andere dazu. Zum System eines Betroffenen gehören noch viele andere, etwa medizinisches, pflegerisches Personal oder therapeutisches Personal. Aber auch weitere psychosoziale Anbindungen und Strukturen des Gesundheitssystems, Freunde, Bekannte, Nachbarn, Tiere, Seelsorge, spirituelle Begleiter und nicht zu vergessen die Sozialen Medien gehören zu einem Krebs-Kosmos.
Nicht alle können alles. Jeder handelt nach seinen, ihm im Moment zur Verfügung stehenden Möglichkeiten. Es kann schnell zu Kränkungen kommen. Wenn sich Menschen zurückziehen, ist es wichtig, in Verbindung bleiben. Dies gilt auch für das kollegiale Umfeld im Beruf. Hier kann ein „Outing“ sinnvoll sein und Ressourcen aktivieren. Mehr Verständnis kann mehr Rücksichtnahme und somit mehr Entlastung bringen. Alle Seiten haben die Chance, sich an neue Möglichkeiten anzupassen. Die Angst vor der Perspektive bzw. Angst vor Einkommensverlust ist ernst zu nehmen und führt oft die Liste der Belastungen an. Von der Arbeitsstruktur, die Diagnose Krebs manchmal eine „Halbtagsstelle“ sein. Es gibt viele Arzttermine, OP-Tage, langwierige Therapien oder sich anschließende Reha-Maßnahmen. Hier hilft: Weniger ist mehr. Den Arbeitsalltag gut rhythmisieren im Sinne der Selbstfürsorge, delegieren, weil es Kräfte schont, andere fordert und fördert hat nun Priorität.
Zum guten „Haushalten“ mit Kräften und Energien gehört, um Hilfe zu bitten und weiter „wohl dosiert“ Teil haben am Leben und bleiben, anstatt sich emotional und sozial zurückzuziehen. Aufgaben verteilen, gute Zeit fordern und fördern und zu Offenheit und Hilfe holen motivieren sind hier unabdingbare Zutaten.
Da sein und bleiben, werden als hilfreich erlebt. Indem Hilfe angeboten wird, aktiv Aufgaben übernommen werden, auch mal Normalität und Alltag gelebt und die Krankheit in die Pause geschickt wird - auch mal Zukunft auf dem „Zettel“ steht - profitieren beide Seiten.
Wege aus der Hilflosigkeit in mehr Selbstwirksamkeit sind hierbei:
Reden, reden, reden, auch wenn es schwerfällt, und zwar, wenn der Betroffene so weit ist – geben Sie Zeit. Auch wenn der Patient vielleicht die Situation ganz anders erlebt oder etwas Anderes braucht – bleiben Sie dran! Beide Seiten profitieren, wenn sie Gefühle offenbaren, wichtig ist, den ersten Schritt zu tun. Mit Ratschlägen sollte man vorsichtig sein.
Das bedeutet nicht, dass man nicht auch mal Urlaub vom Thema Krebs machen kann, Ablenkung und Spaß haben! Hilfe holen, die Familie einspannen, Nachbarn bitten, Nein sagen, Auszeiten nehmen oder schlechte Laune haben – das ist normal und erlaubt.
Hilfe gibt es stationär vor Ort (z.B. Paar- und Familiengespräche mit unserer Psychoonkologie), ambulant (z.B. Familienberatungsstellen), analog (z.B. andere Betroffene) oder online (z.B. Krebsinformationsdienst).